Bittersüßer Nachtschatten – Leseprobe

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Glaub mir, du kennst die Situation.

Sagen wir, du bist ein Mann, ein ganz normaler Typ, und möchtest am Samstagabend etwas erleben. Du hast eine harte Woche hinter dir – na ja, nicht richtig hart, aber doch anstrengend genug. Dein Chef hat dich angemault, nur weil diese blöde Tusse aus der Buchhaltung keinen Spaß versteht. Ist doch nicht deine Schuld, dass … Ach, egal. Auf jeden Fall willst du nun in die Stadt gehen, etwas abhängen, vielleicht noch in eine vernünftige Kneipe auf ein Bier. Ein Mädel aufreißen wäre nett, vielleicht ein kleines Abenteuer … Das wäre jetzt genau das Richtige, um abzuschalten und die beschissene Woche zu vergessen.

Zum Glück ist in der Stadt heute etwas los. Die Osterferien haben angefangen und vor zwei Tagen hat sich das Wetter gebessert, sodass nun Gott und die Welt nach Prag strömen, um das Wochenende abzufeiern. Vor dem ersten Laden stehen so viele Leute, dass du es gar nicht erst versuchst. Aber im Roten Hut kennst du den Türsteher und als du ihm einen Schein zusteckst, schiebt er dich unauffällig an der Schlange vorbei.

Aufatmend setzt du dich im Untergeschoss an den Tresen, ein Bier in der Hand, und schaust zu den Tanzenden hinüber. Die meisten Mädchen sind mit ihren eigenen Typen beschäftigt – nein, es hat keinen Zweck, sich an denen die Finger zu verbrennen. Da drüben tanzen ein paar junge Dinger in einer Traube beisammen. Schon besser, aber für den Anfang etwas stressig … Später vielleicht. An der Wand lehnt ein dunkelhaariges Weibsbild, Typ Femme fatale, doch die sieht aus, als würde sie jeden Mann auffressen, der sich ihr nähert.

Aber dort vorne, wenige Schritte entfernt, bewegt sich eine niedliche Blondine selbstvergessen zur Musik. Sie ist jung, aber nicht zu jung, ihr kurzes Kleidchen sitzt locker und sie ist hübsch genug, dass du es mal versuchen könntest. Also lehnst du dich zurück und betrachtest die Kleine – wie sie sich zum Rhythmus der Musik bewegt, wie sie die langen Haare schwingen lässt, mit verträumtem Gesicht und hüpfenden Brüsten. Du schaust ihr zu und wartest ab, bis sie zwei Lieder später schwer atmend zur Bar herüberkommt, um sie dann ganz beiläufig von der Seite anzuquatschen.

»Alle Achtung; so wie du tanzt, weiß man gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll.« Der Satz kommt gerade richtig heraus, so als wäre er dir gerade erst eingefallen.

Die Kleine sieht sich zu dir um, unsicher, ob du wirklich sie gemeint hast. Als eure Blicke sich kreuzen, lächelt sie kurz und schaut wieder zur Bar. »Ein großes Glas Wasser, bitte.«

»Ach was, du, ich lade dich ein.« Souverän winkst du den Barkeeper herüber. »Ein Hugo für die junge Dame!«

»Nein, bitte, ich …« Sie sieht, wie der Barkeeper schon nach den Zutaten greift, und verzieht kurz das Gesicht, dann nickt sie dir zu. »Vielen Dank.«

»Ist doch kein Ding. Komm, setz dich zu mir. Also, wenn du keine Angst vor mir hast.« Du lachst, auf eine nette, unverfängliche Art. Es ist dein Lieblingstrick; wenn eine Anmache am Ende doch zu dreist ist, kannst du den Spruch immer noch als Witz abtun.

Die Kleine verzieht die Lippen. »Ich bin mit einem Begleiter hier.« Sie blickt sich suchend um, aber da reicht ihr der Barkeeper schon den Hugo. Jetzt bleibt ihr nichts übrig, als das übervolle Glas in der Hand zu balancieren und vorsichtig daran zu nippen.

»Na, schmeckt’s?« Du schenkst ihr ein freundliches Lächeln. Zeit, zum Angriff überzugehen. »Ich habe dich eben tanzen sehen – das war echt der Hammer. Wie sieht’s aus: Wollen wir gleich mal zusammen rübergehen?«

Das Mädchen lacht verlegen und nimmt einen großen Schluck. Du bemerkst nicht, wie sich ihre Finger um das Glas verkrampfen, wie sie deinem Blick auszuweichen sucht … nein, deine Aufmerksamkeit gilt ganz ihrem Ausschnitt und dem dünnen Kleid, das ihre Rundungen wunderbar betont. Der DJ legt einen neuen Song auf, irgendwas Langsam-Schnulziges – perfekt.

Da schiebt sich ein schlaksiger Typ mit Brille herüber und spricht die Kleine erleichtert an. »Hey, Rita, ich hab dich gesucht.«

Ihr Begleiter – verflixt, den gibt es also wirklich. Kurz überlegst du, einen Rückzieher zu machen, aber nein … Der andere Kerl traut sich kaum, das Mädchen zu berühren, geschweige denn, sie von dir fortzuziehen. Also richtest du dich auf, legst deinen Arm auf den Tresen und streifst dabei wie von ungefähr ihre Finger, während du den Typ ansiehst. »Hey. Deine Freundin und ich waren gerade im Gespräch.«

Selbst in der düsteren Barbeleuchtung kannst du sehen, wie der schmächtige Kerl rosa anläuft. »Oh, nein, wir sind nicht zusammen …«

»Na dann, umso besser.« Mit einem Lächeln drehst du dich wieder zu ihr um. »Wie wär’s, Lust zu tanzen?«

Da ist es wieder, ihr unsicheres Lachen: Ganz offensichtlich weiß sie nicht, wie sie auf die Frage reagieren soll. Wahrscheinlich wartet sie nur darauf, dass du endlich den ersten Schritt tust und sie auf die Tanzfläche ziehst. Du streckst die Hand aus, um ihre Finger zu ergreifen – da spürst du, wie dich jemand von hinten an der Schulter packt und herumdreht.

»Hey, Arschloch.«

Es ist die Femme fatale von vorhin, mit ihrer hochgeschlossenen Bluse und dem dunklen Lippenstift. Was zum Teufel will die nun von dir?

Das Weibsbild – das bin übrigens ich – hält dich an der Schulter gepackt und sieht dich kalt an. »Warum lässt du deine Pfoten nicht einfach bei dir?«

»Hackt es bei dir oder was?« Wütend reißt du dich los. »Was geht es dich an, was ich treibe? Ich hab nur Spaß gemacht.« Aus dem Augenwinkel siehst du, wie sich das Blondchen mit ihrem Begleiter im Schlepptau aus dem Staub macht.

Die elende Zicke lächelt und kommt noch einen Schritt auf dich zu, sodass sie dich fast berührt. »Spaß gemacht, am Arsch. Weißt du, was mir Spaß macht? Typen wie dich bei den unverschämten Eiern zu packen und so fest zuzudrücken, dass du die nächsten Monate gar keiner Frau mehr hinterhersteigen willst.«

Sprachlos starrst du mich an, mit offenem Mund und leerem Blick. Du weißt nicht, was dich getroffen hat.

Seien wir doch ehrlich: Das wisst ihr nie. Wenn eine von uns sich mal wehrt, kommt es euch immer so vor, als sei euch der Himmel auf den Kopf gefallen.

Was denn – du bist gar kein aufdringliches Arschloch, das sich an nichtsahnende Frauen heranmacht? Wenn du einen Kerl dabei beobachtest, wie er sich derart zum Affen macht, dann schüttelst du nur den Kopf – über die Dreistigkeit des anderen und ein wenig auch darüber, dass diese Masche bei so vielen Frauen funktioniert? Vielleicht stehst du auch schon in den Startlöchern, um einzugreifen und dich als strahlenden Helden zu präsentieren … Na ja, wenn es denn etwas einzugreifen gibt. Hier ist ja noch gar nichts Schlimmes passiert und schließlich hilft es niemandem, wenn du wegen so einer Kleinigkeit einen Aufstand machst.

Nein, niemand will einen Aufstand. Nicht der Barkeeper, der sich während der ganzen Sache um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, nicht das Arschloch, dem ich gerade die Leviten gelesen habe, und das nun mit eingezogenem Schwanz das Weite sucht. Auch die junge Frau, die sich längst mit ihrem Begleiter verkrümelt hat, hat keine Lust, wegen der Sache einen Aufstand zu machen. Sie wohl am allerwenigsten – dabei wäre ein wenig Aufstand vielleicht genau das Richtige für sie.

Am Ende bleibt es wieder an mir hängen, mich hinzustellen und den Status quo etwas aufzumischen. Keine Sorge, ich bin es gewohnt.

Wer einen Aufstand will, muss bereit sein, den ersten Stein zu werfen.

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