Mandragora – Leseprobe
Alexandria, 30 v. Chr.
Die Königin lehnt auf ihrem Diwan und betrachtet nachdenklich die Feige in ihrer Hand. Dabei lauscht sie der Rede ihres Besuchers. Der magere Römer steht wenige Schritte entfernt neben einer marmornen Säule, die Arme vor der Brust verschränkt und ein verächtliches Lächeln auf den Lippen. Seine gesamte Haltung zeugt von einer Geringschätzung, die seine huldvollen Worte Lügen straft.
»Ich hoffe, dass du mir meine Offenheit verzeihen wirst, o Königin. Aber deine Flotte ist zerstört, deine Truppen haben keinen Feldherrn mehr, der sie führen könnte. Ägypten hat diesen Krieg verloren – ich nehme an, das ist dir ebenso klar wie mir. Doch das muss nicht das Ende für das ägyptische Reich sein.« Aus halbgeschlossenen Augen sieht er auf sie herab. »Du könntest dich entschließen, mit mir zusammenzuarbeiten. Ägypten wird von nun an natürlich unter römischer Herrschaft stehen, als treuer Vasallenstaat des Imperiums. Aber auch dafür brauchen wir einen Statthalter – deinen ältesten Sohn zum Beispiel …«
»Er ist nicht mehr hier«, versetzt Kleopatra knapp. »Er ist nach Süden gezogen, am selben Tag, da deine Truppen in Alexandria gelandet sind, o großer Octavian.« Die letzten Worte sind in einem freundlichen Spott gesprochen, den sie sich nicht verbeißen kann.
Octavian lässt für einen Moment die Maske fallen und funkelt sie ärgerlich an. »Der offizielle Titel ist nun Imperator Caesar Divi filius«, stellt er in verschnupftem Tonfall fest. »Du könntest dich langsam daran gewöhnen.«
Mit einem Schnauben führt Kleopatra die Feige zum Mund und beißt hinein. Octavianus ist der Name, der ihr Gegenüber als Caesars Adoptivsohn kennzeichnet … Nie wird er die gleiche Stellung einnehmen wie ihr Caesarion, der einzig wahre Erbe Caesars. Sie bemüht sich, eine ruhige Miene zu zeigen, während sie die süße Frucht schmeckt.
In Wahrheit ist ihr kaum nach Essen zumute. Der Krieg ist zu Ende, wenigstens darin hat Octavian recht. Das ägyptische Heer hat kapituliert, ihre Flotte ist gesunken. Und Marcus Antonius – ihr geliebter Antonius – hat sich aus Verzweiflung in sein eigenes Schwert gestürzt. Kleopatra muss sich mit aller Gewalt zur Ruhe rufen, um den aufquellenden Schmerz zu verwinden. Niemand ist mehr da, um Ägypten vor Roms gierigem Rachen zu beschützen – niemand außer ihr selbst, und sie ist eine Gefangene in ihrem eigenen Palast.
Es ist vorbei. Ägypten wird verfallen; Rom wird ihr goldenes Königreich ausbluten lassen bis auf die letzte Ähre.
Und alles wegen dieses Bürschleins, dieses schwächlichen Adoptivsohns des großen Caesars, der selbst noch nie an einer Schlacht teilgenommen hat. All seinen Ruhm hat Octavian sich durch Lug und Täuschung ergaunert – vom römischen Volk, vom Senat und nicht zuletzt von Marcus Antonius, seinem früheren Schwager und Freund. Die Zeit, die Antonius in der Ferne verbrachte, um für Rom zu kämpfen, hat Octavian genutzt, um in der Hauptstadt gegen ihn zu hetzen und ihn zum Staatsfeind erklären zu lassen.
Unter halb erhobenen Lidern hervor mustert Kleopatra ihn, wie er vor ihr steht, schwitzend in seiner Prachtrüstung mit dem purpurfarbenen Umhang und den hohen Sandalen, die seine schmächtige Statur etwas größer erscheinen lassen sollen. Seine Lippen sind abschätzig verzogen und Schweißtropfen rinnen ihm die Stirn hinab. Kleopatra hat mit dem Gedanken gespielt, ihn für sich zu gewinnen; ihn zu bezirzen, wie es ihr schon mit Antonius so mühelos gelungen ist – auch aus diesem Grund hat sie heute das goldgetrimmte Leinenkleid gewählt, das ihre Schultern und Teile ihrer Arme zeigt. Aber der Anblick seiner käsigen Züge lässt einen Widerwillen in ihr aufsteigen, den keine Strategie der Welt aufwiegen kann. Eher würde sie sterben, als sich solch eine Schmach anzutun.
»Möchtet Ihr noch mehr Feigen, o große Königin?«
Die Frage reißt Kleopatra aus ihren Gedanken. Neben ihrem Diwan wartet eine Dienerin mit einem tönernen Krug, der bis zum Rand mit den süßen Früchten gefüllt ist. Sie will schon ungeduldig abwinken – da hebt die Dienerin den Kopf und ein Paar goldener Augen sieht ihr aus dem schwarzen Gesicht entgegen.
Erstarrt erwidert Kleopatra den Blick. Sie kennt diese Züge, auch wenn es lange her ist, seit sie die andere zum letzten Mal gesehen hat. Nyoka. Schon hebt sie den Arm, streckt ihre Finger nach der Frau aus …
»… also, was schlägst du wegen deiner Nachkommenschaft vor, Königin?«
Octavians Worte lassen sie innehalten. Sie räuspert sich, während sie sich in Erinnerung ruft, was der Römer gerade gesagt hat. Ihre Nachkommen … Natürlich: Selene, Helios und Philadelphos, ihre und Antonius’ Kinder, befinden sich allesamt in Octavians Gewalt. Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie sich die Frau mit dem Krug von dannen macht.
»Nun«, antwortet Kleopatra und bemüht sich, eine zuversichtliche Miene zu zeigen. »Du sagtest, du brauchst einen Statthalter. Da sich Caesarion nun einmal nicht im Land befindet, wäre das vielleicht eine geeignete Position für Alexander Helios. Seine Schwester Selene könnte ihm nach ägyptischer Tradition zur Seite stehen. Alles unter der leitenden Hand Roms, versteht sich.«
Octavian setzt einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf, dann nickt er bedächtig. »Das wäre in der Tat eine Möglichkeit. Wie alt ist der Knabe – zehn? Solch ein Arrangement hätte den Vorteil, dass es dem ägyptischen Volk entgegenkommen würde. Ich werde mit meinen Beratern darüber reden.«
»Das freut mich.« Kleopatra zwingt sich, sein Nicken zu erwidern. Das Lächeln, das sie auf ihre Züge presst, schmerzt auf ihren Lippen.
Es ist gelogen … Jedes Wort, das Octavian von sich gibt, ist gelogen. Niemals würde dieser rachsüchtige Feigling es in Betracht ziehen, Marcus Antonius’ Sohn den ägyptischen Thron zu überlassen, selbst wenn es nur als Marionette des Römischen Imperiums wäre. Außerdem, wann hätte es Rom je interessiert, was die Menschen der Vasallenstaaten von ihrer Regierung halten?
Was auch immer Octavian für sie und ihre Kinder geplant hat, es muss so grausam sein, dass er sich nicht einmal jetzt traut, seiner Gefangenen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.
»Nun denn.« Mit einem Seufzen löst Octavian sich von der Säule und versucht unauffällig, sich den Schweiß vom Nacken zu reiben. »Damit wäre wohl fürs Erste alles geklärt. Ich freue mich, dass du dich so zugänglich zeigst.«
Kleopatra antwortet ihm mit einem unverbindlichen Lächeln. Auch sie setzt sich auf ihrer Liege auf. »Ich danke dir für deine Freundlichkeit und für die Gnade, die du mir und meiner Familie erweist.«
Sie weiß, dass die höflichen Floskeln notwendig sind, zumindest für den Moment. Dennoch schmecken die Worte wie Asche in ihrem Mund.
Ohne ihr Lächeln aufzugeben, sieht sie zu, wie der römische Imperator sich knapp von ihr verabschiedet und dann durch die offene Halle hinausgeht. Erst als er sicher außer Hörweite ist, lässt sie die Grimasse sinken. Sie beißt sich auf die Fingerknöchel und stößt einen wimmernden Laut der Qual aus, um wenigstens einem kleinen Teil ihrer Gefühle Raum zu geben.
Mit eiligem Schritt betritt Kleopatra ihre persönlichen Gemächer und lässt ihren Blick über die übriggebliebene Dienerschaft gleiten, die in banger Erwartung zu ihr aufschaut.
Nyoka … Wo ist sie nur hingegangen?
Kleopatra weiß, was sie gesehen hat. Sie kennt niemanden sonst mit solchen Augen, niemanden, der ihren Ausdruck so unverstellt erwidert. Mühsam zwingt sie sich zur Ruhe, während sie die Dienerinnen eine nach der anderen mustert. Es sind nicht mehr viele bei ihr; vielleicht ein halbes Dutzend Frauen und ein paar Eunuchen, die sich hinter dem gefliesten Brunnen in der Mitte des Raumes gesammelt haben, um ihren forschenden Blick über das Wasserbecken hinweg zu erwidern.
Und wenn es wirklich Nyoka war – könnte das womöglich alles ändern? Kleopatra erinnert sich an frühere Gelegenheiten, da ihre Freundin ihr in höchster Not geholfen hat. Nyoka war es, die ihr damals den Mut zugesprochen hat, sich in tiefster Nacht in den eigenen, von Römern besetzten Palast zu schleichen und dem allmächtigen Caesar unter die Augen zu treten. Mehr als einmal hat Kleopatra ihren Thron und ihr Reich mit Zähnen und Klauen verteidigen müssen – und jedes Mal stand Nyoka ihr dabei zur Seite. Warum sollte es heute anders sein?
Ist ihr Kampf vielleicht doch noch nicht zu Ende?
»Herrin?«
Abrupt wendet Kleopatra sich um. Vor ihr steht Charmion, ihre erste Hofdame, und sieht sie mit einer Mischung aus Sorge und Mitgefühl an. Kleopatra schließt die Augen. Sie stößt die Luft aus und zwingt sich zu einem gesetzten Lächeln. »Es ist schon gut, Charmion. Ich habe nur … Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
Der Ausdruck ihrer Dienerin wird noch sorgenvoller. Kleopatra bemerkt, dass das Leinenkleid ihr über die bronzefarbene Schulter gerutscht ist – eine Unachtsamkeit, die so gar nicht zu der sorgsamen Hofdame passt. Im gesamten Palast herrscht zurzeit eine ungewohnte Aufregung, die nicht einmal vor ihren engsten Kreisen haltgemacht hat.
Charmion sieht sie noch einen Moment zögernd an, dann senkt sie den Kopf, wie um dem Blick ihrer Herrin auszuweichen. »O große Königin, ich muss dir etwas sagen. Dolabella ist hier gewesen – er hat Octavians Besuch genutzt, um unbemerkt mit mir zu sprechen. Du weißt, dass er dir immer zugetan war …«
Kleopatra nickt langsam. Cornelius Dolabella, einer der niederen Heerführer unter Octavian … Sie kennt ihn aus ihrer Zeit in Rom, als er sich unter Caesar – ihrem, dem wahren Caesar – mit seinen Siegestaten hervorgetan hat. Schon damals hat er ihr bewundernde Blicke zugeworfen, keusch und unaufdringlich natürlich, wie es sich für die Erwählte seines Imperators ziemte.
Und nun hat er die Todesgefahr auf sich genommen, sich aus Octavians Heer zu schleichen, um ihr eine Nachricht zu senden. Welche Worte können solch ein Risiko wohl wert sein?
»Was hat er gesagt?«, fragt sie, den Blick auf das glitzernde Wasser gerichtet. Mit den Händen fährt sie sich über die Oberarme, die nur zur Hälfte von dem goldbestickten Stoff umhüllt sind. Mit einem Mal scheint es ihr in dem sonnendurchfluteten Palast zu kalt zu sein.
»Er hat gehört, wie Octavian Befehl gegeben hat, das Heer vorzubereiten. Der Imperator will weiterziehen, in Richtung Syrien – und er will dich mitsamt deiner Kinder nach Rom schicken lassen, auf dass ihr in seinem Triumphzug vorgeführt werdet, sobald er siegreich zurückkehrt.«
Die Worte ziehen über Kleopatra hinweg, als würden sie sie kaum betreffen. Ihr Blick fährt über die Fliesen zu ihren Füßen, so als könnte ihr das verschlungene Muster dabei helfen, dieses sonderbare Rätsel zu lösen. Imperator, Rom, Triumphzug … Mit aller Kraft weigert sich ihr Geist, die Bedeutung der Sätze zu verstehen.
Es ist nicht möglich … Bei ihrem letzten Besuch in Rom wurde sie von berstendem Jubel begrüßt, als Geliebte des göttlichen Caesars, eine fremde Königin und Wiedergeburt der Isis. Wie könnte sie nun in einem Triumphzug durch die Gassen und Straßen geführt werden, gleichgestellt den syrischen Schätzen und den wilden Tieren, die die Römer tief im Zweistromland gefunden haben? Wie könnten ihre Kinder als exotische Raritäten vorgezeigt werden, vor den gleichen Bürgern, die den kleinen Caesarion damals als Caesars Sohn und Nachfolger verehrt haben?
Nein, es muss ein Irrtum sein. Dolabella meint es gut, doch er hat die Anweisungen seines Feldherrn falsch verstanden. Nicht einmal Octavian könnte so tief sinken, das Andenken des großen Caesars auf diese Weise zu beschmutzen. Kleopatra hebt den Kopf, um Charmion auf ihren Fehler hinzuweisen, auf ihren Lippen ein ungefähres Lächeln.
Dann, als sie den Mund öffnet, kommt nur ein einziges Wort heraus: »Wann?«
Charmion begegnet ihrem Blick, eine tiefe Trauer in den dunklen Augen. »In drei Tagen, sagt er.«
Die Königin nickt. Sie schaut ihre treue Gefährtin an, dann sieht sie hinüber zu den Gestalten, die immer noch drüben um das Wasserbecken versammelt stehen und ihrer Befehle harren. So leise, dass sie selbst die Worte kaum hören kann, sagt sie: »Lasst mich allein.«
Charmion nickt langsam, wobei sie ihre Königin mitfühlend betrachtet. Kleopatra möchte Liebe empfinden für ihre Vertraute, diese Freundin, die ihr seit so vielen Jahren treu und zuverlässig folgt. Doch selbst dafür fehlt ihr heute die Kraft. So beobachtet sie nur stumm, wie ihre Hofdame den Saal verlässt, gefolgt von der restlichen Dienerschaft – oder dem, was davon noch übrig ist.
Die letzten Schritte klingen durch den Säulengang hinaus, dann endlich wird es still um Kleopatra. Stumm blickt die Königin sich in dem verlassenen Gemach um. Das Sonnenlicht fällt in den Hof und funkelt auf dem gefliesten Wasserbecken, auf dem sich zwei Seerosen in der Nachmittagssonne räkeln. Die Spiegelung des Wassers tanzt über die Wände und sprenkelt die altehrwürdigen Säulen mit flimmernden Farbklecksen.
Das Herz Ägyptens … Was wird von all dieser Pracht übrig bleiben, wenn Rom erst seine gierige Hand nach Alexandria ausgestreckt hat?
Bei der Vorstellung, wie sich die römischen Legionen in ihrem Palast, ihrer Stadt ausbreiten, überfällt Kleopatra ein hilfloses Zittern. Am liebsten würde sie sich hinsetzen, den Kopf in den Händen vergraben – aber nein, noch ist sie Königin von Ägypten: Kleopatra die Große, Herrin der Vollkommenheit, die Inkarnation der Isis. Sie wird auf ihren eigenen Beinen stehen und über ihr Land wachen, solange ein letzter Funken Kraft in ihr verbleibt.
Ein leises Scharren auf der anderen Seite des Saals lässt sie aufmerken. Dort drüben im Schatten des Säulengangs, wo das glänzende Sonnenlicht nicht hinfindet, ist eine gleitende Bewegung zu erahnen.
Kleopatra hebt den Blick, jede Sehne ihres Körpers angespannt. Hat ein ungehorsamer Diener ihren Wunsch nach Ruhe missachtet? Oder ist es gar einer der römischen Soldaten, der sich dreist bis in ihre persönlichen Gemächer vorgewagt hat? Sie öffnet den Mund, um den Eindringling zur Rede zu stellen – doch ehe sie ein Wort herausbringt, sieht sie, dass es keines von beidem ist. Die zierliche Gestalt, die dort im Schutz der Schatten auf sie zutritt, ist zu klein für einen Legionär und ihre Haut ist noch dunkler als die von Charmion.
Die Königin erstarrt, als sie die andere Frau erkennt, die dort aus dem Säulengang zu ihr herüberkommt. Nyoka trägt einen buntgefärbten Leinenrock und über ihren Schultern hängen goldene Ohrringe. Golden blicken Kleopatra auch die tiefen Augen entgegen – in ihrem schwarzen Gesicht glänzen sie wie die Sterne am nächtlichen Himmel über der Wüste. In den Händen trägt Nyoka den tönernen Krug mit den Feigen, verschlossen mit einem Deckel, um den sich als Griff eine Schlange windet.
Ohne den Blick von ihr zu nehmen, stellt die Frau den Krug auf einem mosaikbesetzten Goldtischchen ab. »Ein Präsent für Kleopatra, die Königin der Könige.«
Die ehrerbietige Begrüßung reißt Kleopatra aus ihrer Starre. Mit großen Augen geht sie auf die andere Frau zu. »Du bist hergekommen, gerade jetzt …« Ungebeten flammt Hoffnung in ihr auf. »Warum bist du hier? Willst du mir helfen?«
Nyoka lässt die Frage an sich abperlen. Ungerührt erwidert sie Kleopatras Blick. »Ich bin gekommen, weil ich eine Geschichte von dir hören will. Eine letzte Geschichte, wie du sie noch keinem Menschen erzählt hast.«
Die Worte sind alles, was Kleopatra gebraucht hat, um ihre Befürchtungen zu bestätigen. Nein, die Götter haben ihr keinen letzten Ausweg geschenkt. Nicht einmal ihre älteste Freundin kann sie jetzt noch retten.
Mit einer Wut, die aus der Verzweiflung erwächst, richtet Kleopatra sich auf. Ihre Stimme zittert vor Empörung. »Du hattest mir Größe versprochen – Unsterblichkeit! Und nun? Du wagst es, zu mir von Geschichten zu reden? Sieh dich um, mein Palast ist von Römern überrannt. In drei Tagen werden sie mich und meine Kinder nach Rom schleppen, um uns in Octavians Triumphzug dem Pöbel zu präsentieren!« Ihre Stimme droht zu brechen und sie schüttelt den Kopf. Anklagend streckt sie den Finger nach Nyoka aus. »Die größte Herrscherin, die war und jemals sein wird – das waren deine Worte. Du hast gesagt, ich könnte als Königin sterben!«
Nyoka antwortet mit einem Lächeln. »Das kannst du immer noch.«
Die Worte sind ruhig gesprochen, so als würden Kleopatras Vorwürfe sie kaum berühren. Sie tritt zu dem goldenen Tischchen und hebt den Deckel von dem Krug.
Kleopatra wirft einen kurzen Blick auf die violetten Früchte, die sich darunter verbergen – und hält inne, als sie unter den Feigen eine gleitende Bewegung erahnt. Die oberste Frucht rollt beiseite und gibt den Leib einer schwarzen Schlange frei, deren glänzender Körper zwischen den Feigen entlangzieht.
Es ist die größte Uräusschlange, die Kleopatra je gesehen hat.
Schlagartig überkommt sie eine beinahe traumartige Ruhe. Ein Biss dieses Tieres trägt genug Gift in sich, um noch den stärksten Mann zu fällen – mit Sicherheit wird es auch für eine Königin ausreichen.
Sie hebt den Kopf und sieht Nyoka aus großen Augen an. »Wenn ich das tue, wird Octavian meine Kinder bestrafen. Sollte ich Hand an mich legen und ihn dadurch um seinen Triumph bringen, so wird er seine Wut an Selene und Helios auslassen …«
»Möglich«, antwortet Nyoka, ohne ihrem Blick auszuweichen.
Mit klopfendem Herzen denkt Kleopatra an ihre Kinder. Die Zwillinge und der kleine Philadelphos sind in Octavians Gewalt. Und Caesarion, Caesars einziger Sohn und Erbe …
»Octavian lässt bereits nach Caesarion suchen«, murmelt sie, den Blick auf den dunklen Schlangenleib gerichtet. »Charmion hat gehört, dass er ihm Späher hinterhergeschickt hat. Nach Äthiopien und bis nach Indien lässt er seine Spur verfolgen. Es kann nur einen Nachfolger Caesars geben … Wenn Octavian seiner habhaft wird, wird er Caesarion ohne zu zögern umbringen.«
»Das ist wahrscheinlich«, sagt Nyoka sanft.
Zwei Feigen rollen auf den Tisch, als die schwarze Schlange sich nun aufrichtet und ihren Kopf aus dem Tonkrug erhebt. Ruhig sieht das Tier Kleopatra an, als würde es ihren Worten lauschen.
Sie hebt die Hand, wie um die Schlange zu berühren. Leise, beinahe monoton fährt sie fort: »Es war nicht leicht, einen Doppelgänger für meinen Sohn zu finden. Einen aufrechten jungen Mann, etwa in dem richtigen Alter … Es gibt genug treue Ägypter, doch nur wenige von ihnen haben so helle Haut, dass man sie für Caesars Sohn halten könnte. Aber natürlich war Charmion erfolgreich, so wie sie es immer ist.« Zärtlich streichen ihre Finger bei der Erinnerung den Rand des Krugs entlang. »Essam heißt der tapfere Knabe, der sich nun zusammen mit Caesarions Lehrer auf dem Weg nach Äthiopien befindet. Octavian wird ihn finden, früher oder später … Er wird ihn hinrichten lassen und dafür sorgen, dass die Nachricht so schnell wie möglich nach Rom gelangt.« Kleopatra hebt den Blick und sieht Nyoka an. Ein schmerzliches Lächeln streicht über ihre Lippen. »Wenn Octavian wirklich so klug ist, wie er glaubt, wird er den Betrug vielleicht entdecken – schließlich spricht der arme Knabe nicht halb so gut Latein, wie Caesarion es tut. Aber dieser selbsternannte Caesar wird sich hüten, etwas darüber verlauten zu lassen. Für ihn und für die Welt wird Caesars einzig rechtmäßiger Sohn tot sein, seine Linie beendet.«
»Und dein Sohn?«, fragt Nyoka. »Wo ist er?«
Ängstlich sieht Kleopatra ihre Besucherin an. Sie presst die Lippen zusammen. Selbst hier, in der Einsamkeit ihrer Gemächer, fällt es ihr schwer, das Geheimnis auszusprechen.
Doch Nyokas durchdringender Blick ruht auf ihr, und so fließen die Worte schließlich wie von selbst aus ihr hinaus. »Er ist nach Griechenland gegangen«, sagt sie leise. »Nach Ephesos – mitten hinein in die Höhle des Löwen. Niemals wird Octavian ihn dort vermuten, so nahe an den Fängen Roms. Caesarion spricht fließend Griechisch und Latein, er wird dort oben als Einheimischer durchgehen.« Ein klirrendes Lachen bricht aus ihr heraus. »Er hat sich entschieden, dem Thron zu entsagen, für den ich mein Leben lang gekämpft habe. Dafür wird er in Sicherheit weiterleben – und ich …« Wieder fällt ihr Blick auf die aufgerichtete Schlange, die sich nun langsam hin- und herwiegt, als würde sie ihrer Geschichte lauschen.
»Ich danke dir.« Ruhig durchdringen Nyokas Worte ihre Gedanken. Als Kleopatra sich umdreht, sieht sie in der Hand der anderen eine tiefschwarze Perle, glänzend wie ein dunkler Stern. »Ich werde deine Geschichte für dich bewahren.«
Noch einen Herzschlag lang betrachtet Nyoka das Juwel zwischen ihren Fingern, dann lässt sie es in den Falten ihres Rocks verschwinden. Sie sieht Kleopatra wieder an, mit einem Lächeln, in dem sich Fürsorge und Mitgefühl mischen.
»Hier«, sagt sie und weist auf den Tonkrug. »Es ist so weit.«
Kleopatra nickt. Sie presst die Kiefer zusammen, um jedes Zittern zu unterdrücken. Vorsichtig greift sie nach der Giftschlange und fährt dem Tier über den Rücken, in ihrer Geste halb Zärtlichkeit und halb Grausen. »Sie werden sich an mich erinnern … Ich werde als Königin sterben?«, fragt sie geistesabwesend. Der Leib der Schlange fühlt sich warm an, weit freundlicher, als sie erwartet hätte.
»Als Königin der Könige«, antwortet Nyoka ruhig. »Die letzte Pharaonin von Ägypten. Du wirst in die Geschichte eingehen als die größte Herrscherin, die war und jemals sein wird.«
Ein wehes Lächeln zieht um Kleopatras Lippen. »Ich danke dir«, sagt sie, ohne Nyoka dabei anzublicken. Sanft fahren ihre Finger über den Rücken der Uräusschlange, die sich an ihre Berührung anschmiegt.
Dann greift sie nach dem Schlangenleib und hebt das gewaltige Tier aus dem Krug.